Doron Stein, Mitbegründer und Managing Director von memodio, lächelt freundlich in die Kamera, während er über die Health Innovator’s Bridge spricht und darauf eingeht, welche Richtlinien nötig sind, um Startups nicht einzuschränken. Dabei teilt er wertvolle Tipps mit jungen Gründenden, wie sie am besten Business Angels von sich überzeugen können. Es fällt auf, wie sehr Doron sich für mehr Innovation in der Medizin engagiert.
Wie würdest du memodio in einem Satz beschreiben:
Wir haben eine App entwickelt zur Vorbeugung und Behandlung von Demenz im frühen Stadium der Erkrankung.
Was hat euch zur Entwicklung von memodio inspiriert?
Mehrere Dinge eigentlich. Zum einen sind wir alle selbst in der Familie betroffen und haben dadurch persönliche Erfahrungen damit gemacht, wie Demenz das Leben sowohl der Betroffenen als auch der Angehörigen beeinflusst. Diese Erfahrungen waren die Hauptmotivation für die Entwicklung von memodio.
Zum anderen sind Felix und ich Ärzte und betreuten somit viele Demenzpatienten. Ich selbst habe nach meinem Studium nur ein Jahr in einem Krankenhaus gearbeitet und entschied mich dazu auszusteigen, um als Berater tätig zu werden. Im Rahmen einer Auftragsforschung schrieb ich dann eine Publikation zum Thema „Versorgung der frühen Alzheimer-Krankheit“, wobei mir bei der Analyse umfangreicher Daten eine Versorgungslücke im Bereich der frühen Demenzstadien aufgefallen ist. Diese Erkenntnis war der Auslöser für die Entwicklung einer eigenen Lösung.
Parallel wurden auch Digital Health Themen, wie zum Beispiel DiGAs, also Digitale Gesundheitsanwendungen, immer bekannter, weswegen wir uns entschieden eine App zu entwickeln, um die Versorgungslücke in den frühen Stadien der Demenzerkrankung anzugehen.
Es kommt zusammen, was zusammen gehört. Damit bewarben wir letztes Jahr die Healthcare Innovator’s Bridge. Ziel war es, etablierte Industry Leaders, innovative Newcomer sowie private und institutionelle Geldgeber zusammen und Innovationen gemeinsam voranzubringen. Inwiefern konnte dieses Ziel bei memodio erreicht werden?
Zum einen ist es ja so, dass das Event öffentlich wirksam kommuniziert worden ist, das hatte sicherlich eine positive Wirkung, einfach allgemein. Und dann gab es auf dem Event selbst viele Kontakte, darunter ein paar Vertretende von Krankenkassen, Industrievertretende aber eben auch Investierende. Gleichzeitig befanden wir uns zu dieser Zeit im Investmentprozess beim BACB, das hat natürlich die Partnerschaft verstärkt, dadurch dass wir uns das erste mal persönlich getroffen haben.
Und im Zuge des Jury-Preises gewannen wir eine einjährige Mitgliedschaft bei der Gesundheitsstadt Berlin, wodurch wir während deren Veranstaltungen ebenfalls von Kontakten zur Industrie profitieren.
Du hattest gerade schon den Jury-Preis erwähnt. Glaubt ihr als Gewinner des Jury-Preises denn, dass das deutsche Gesundheitssystem durch solche Veranstaltungen profitiert? Wenn ja, inwiefern?
Ich glaube, dass die Veranstaltung per se nur einen begrenzten Einfluss hat. Das Wichtigste ist, dass ein Mindshift in den Köpfen der Entscheidungstragenden stattfindet und dieser Shift ist einfach noch nicht da. Wir haben einen extremen Digitalisierungsbedarf in Deutschland, unausgefüllte Personal- und Investitionslücken im Gesundheitswesen und wir haben viel zu viele Entscheidende, welche auf zu alten Konzepten ihre Gedankenwelt aufbauen. Das ist der Grund wieso viele digitale Innovationen oder spannende Konzepte nicht umgesetzt werden. Solche Veranstaltungen können dabei helfen, diese „alten, verkrusteten Gedankenmuster“ zu brechen. Dazu muss ein grundsätzlicher Shift in der Mentalität der Entscheidungstragende stattfinden. Deswegen ist es wichtig, dass man im öffentlichen Diskurs vermehrt Akteure der Selbstverwaltung miteinbindet, beispielsweise in Podiumsdiskussionen oder Interviews. Ich habe manchmal das Gefühl, dass auf solchen Events immer dieselben Leute erscheinen, die bei den Entscheidungsstrukturen irgendwo im Mittelbau sitzen. Aber die eigentlichen Entscheidungstragenden, die die grundlegenden Strukturen verändern könnten, die kommen meistens nicht. Das ist schade und auch ein Problem und das führt auch dazu, dass sich Innovation oft nicht durchsetzten.
Denkst du, dass solche Veranstaltungen auch für andere Branchen existieren sollten, um Innovation gemeinsam voranzutreiben?
Ein Beispiel ist die Branche der regulierenden Akteure. Es gibt ja seit 2021 eine neue europäische Richtlinie zu Medizinprodukten, die sog. Europäische Medizinprodukterichtlinie. Diese Richtlinie ist aber nur auf große europäische Unternehmen und Corporates ausgelegt. Ein großer Teil der Medizinprodukthersteller beschäftigt aber unter 50 Mitarbeiter und hat ganz andere Prozesse und Hierarchiesysteme. Daher passt diese Richtlinie überhaupt nicht auf die ganzen kleinen Unternehmen, die aber für Innovationen im Gesundheitswesen enorm wichtig sind. Das Anforderungsgefüge, das wir erfüllen müssen, ist für kleine und mittlere Hersteller völlig unpassend. Ich frage mich dann immer, ob Entsscheidungsträger überhaupt mit der Industrie gesprochen haben. Wenn man natürlich nur mit Johnson&Johnson oder Herstellern ab 10 Milliarden Euro Jahresumsatz spricht, dann kommt am Ende so eine Richtlinie herraus. Aus diesem Grund sind entsprechende Veranstaltungen zum Diskurs mit allen Akteuren relevant.
Welche Richtlinien sollte es denn geben, die kleine und mittelständische Unternehmen nicht einschränken?
Es geht darum, dass das Anforderungsgefüge verhältnismäßig ist. Und das ist es aktuell nicht. Es ist ja gut, dass es einen Regulierungsrahmen gibt, der Patienten- und Informationssicherheit sicherstellt, aber es muss eben auch kleinen Unternehmen möglich sein, das zu stemmen. Es macht einen Unterschied, ob ein Unternehmen 25.000 Mitarbeitende und allein 100 Abteilungen an einer Produktentwicklung arbeiten, oder ob ein Unternehmen nur 7 Mitarbeitende und gar keine Abteilungen hat.
By the way, bei der FDA (Federal Drug Administration) in den USA klappt das. Die haben nämlich auf Verhältnismäßigkeitsbasis neue Zulassungsprozesse eingeführt, die es Unternehmen, die neue Produkte entwickeln, deren Risiken im Verhältnis zum Nutzen überschaubar sind, möglich machen, nicht erst 150.000$ ausgeben muss, um die Zulassung zu erhalten. In der EU und Deutschland werden Anforderungen jedes Jahr eher noch verstärkt: BfArM (Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte) und IQWIG (Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen) leisten sich ja schon seit Jahren ein Rennen über strengere Anforderungen an Wirksamkeitsstudie für Arzneimittel und Medizinprodukte, da beide sich nicht vorwerfen lassen wollen, zu lasch mit den Anforderungen umzugehen.
Seit letztem Jahr gilt eure App zu den neuen Mehrleistungen der AOK, wie kam es zu der Zusammenarbeit und könnt ihr eine Veränderung feststellen, seitdem ihr mit der AOK zusammenarbeitet?
Die Zusammenarbeit mit der AOK PLUS kam durch unsere Teilnahme am Spinlab Accelerator in Leipzig zustande. Inzwischen wird unsere App aber auch von anderen Krankenkassen erstattet. Aktuell wird die memodio-App für 5 Mio. Menschen in Deutschland kostenlos angeboten. Das hilft natürlich, einen echten Mehrwert für die Betroffenen zu schaffen. Wir wollen mit unserem Produkt, die Versorgung von Demenzpatienten verbessern. Um das zu erreichen, brauchen wir aber noch viel mehr Kassen, die mit uns zusammenarbeiten. Aktuell ist es allerdings so, dass sich viele Krankenkassen auf andere Zielgruppen konzentrieren. Das liegt sicherlich daran, dass junge Personen die viel attraktiveren Mitglieder sind, weil sie seltener krank werden und auch höhere Beiträge zahlen. Angesichts der demografischen Entwicklung bin ich aber davon überzeugt, dass auch die ältere Zielgruppe immer wichtiger werden wird.
Was habt ihr zukünftig noch geplant?
Wir sind aktiv in einem Markt, der ein enormes Potenzial hat. Demenz ist eine Krankheit, die immer häufiger auftritt. Außerdem werden neue Arzneimittel für die frühen Demenzstadien entwickelt. Das wird dazu führen, dass es künftig mehr Diagnosen früher Demenzformen geben wird. Das heißt, es ist ein absoluter Wachstumsmarkt. Darüber hinaus ist unser Produkt einmalig auf dem Markt: es vereint Gehirntraining, ein Senioren-Sportprogram und Ernährungsanpassung mit der Optimierung von Risikofaktoren und vielen weiteren Dingen in einer App – man nennt das dann multimodale Intervention. Und das eben völlig digital. Um die App nun wirklich in die Versorgung zu bringen, also zu den Patientinnen und Patienten, ist die Zusammenarbeit mit Krankenkassen eine zentrale Option. Eine andere Option ist natürlich das Thema Selbstzahlerleistung und die dritte Option wäre das Thema Digitale Gesundheitsanwendung..
Letztendlich ist unsere Vision, der digitale Player für die Versorgung von Patienten mit Demenz und vor allem früher Demenz zu werden.
Hast du abschließend noch Tipps an neue Gründende, wie man Business Angels am besten von sich überzeugen kann?
Den einen Weg gibt es nicht. Es ist eher eine lange Liste mit vielen Check Marks und umso mehr man abhaken kann, desto schneller findet man einen Business Angel. Zu diesen Check Marks gehört zum Beispiel eine transparente Kommunikation, regelmäßiges Follow-Up, ein funktionierendes Team mit einem komplementären Skillset, ein funktionierendes Business Modell, Traktion, am besten natürlich Revenue und das Produkt muss auch funktional sein. Es gibt einen Haufen Dinge die relevant sind.
Gerade für junge Gründende, die mit Business Angels eine erste Finanzierungsrunde raisen wollen, ist es sicherlich sinnvoll so viel wie möglich mit anderen Gründenden zu sprechen, die bereits Erfahrungen im Fundraising gesammelt haben und so viele Informationen wie möglich über andere Kanäle zu gewinnen.
Wir haben damals auch mit allen Leuten gesprochen die nicht „bei 3 auf den Bäumen“ waren und haben uns daraus sozusagen eine „Knowledge Base“ angeeignet. Ich hatte damals auch keinerlei Kenntnisse zum Thema Startup-Finanzierung . Ich bin Mediziner und hatte mich damit noch nie beschäftigt, aber man springt nunmal ins kalte Wasser und irgendwann hat man dann das Wissen.
Also ja, mein Tipp ist: Hang in there, irgendwann klappt es!
Abschließend möchte Doron noch eine wichtige Message mit auf den Weg geben:
Demenz ist eine chronische Erkrankung, die man nicht von einen Tag auf den anderen entwickelt, sondern es gibt Vorstadien. Das wichtigste dieser Vorstadien ist die leichte kognitive Störung. In Deutschland gibt es 1,6 Millionen Betroffene mit manifester Demenz und 4 bis 6 Millionen Betroffene mit einer leichten kognitiven Störung. Für diese 4 bis 6 Millionen Menschen gibt es aber in Deutschland keine zugelassene Behandlungsform. Und genau das wollen wir ändern! memodio macht genau das möglich, aber eben auf digitale Weise.
Vielen Dank lieber Doron für das spannende Interview. Wir wünschen dem gesamten Team von memodio nur das Beste für die Zukunft und ihre Visionen.
Mehr Infos zu memodio gibt es hier: https://memodio-app.com
Fotos: memodio
Text: Mayline Harnisch (BACB)